Der Goldene Schnitt

Der goldene Schnitt – als Anwendung bei der Bildgestaltung.

Nun fangt bitte nicht gleich an zu gähnen, nach dem Motto „schon wieder dieser goldene Schnitt“ – ich weiß, jeder, der sich ernsthaft mit Bildgestaltung beschäftigt, wird schon viel darüber gelesen haben und nicht jeder Bildgestalter hat automatisch eine Affinität zur Mathematik oder Geometrie. Klar. ABER: gerade WEIL das Thema immer wieder präsent ist, sollte man zumindest genau darüber bescheid wissen. Und : wie das folgende Bildbeispiel beweist, lohnt es sich schon, etwas tiefer in die Materie einzusteigen.

Unsere Bildfläche ist im Format 2×3, ein gängiges Querformat.

GS_leer

Die roten Hilfslinien folgen allesamt den Regeln des goldenen Schnittes – wie man sieht, gibt es einige goldene Schnitte in so einer Bildfläche. Die Kreuzungspunkte der waagerechten und senkrechten sind also Punkte, die gleich mehrere goldene Schnitte beinhalten und somit besonders beliebt sind, um in ihnen (oder um sie herum) die bildwichtigsten Elemente zu platzieren – etwa ein Auge bei einem Portrait.

Der Vollständigkeit halber hier etwas graue Theorie über die „Findung“ des goldenen Schnittes (Quelle Wikipedia):

Als Goldenen Schnitt (alternative Schreibweise: goldener Schnitt;[1] lateinisch: sectio aureaproportio divina) bezeichnet man das Teilungsverhältnis einer Strecke oder anderen Größe, bei dem das Verhältnis des Ganzen zu seinem größeren Teil (auch Major genannt) dem Verhältnis des größeren zum kleineren Teil (dem Minor) entspricht. Als Formel ausgedrückt (mit  als Major und  als Minor) gilt:

GS_Formel

Nahezu jedem Fotografen ist die „Drittel-Regel“, auch oft „Zwei-Drittel-Regel“ genannt, bekannt. Auch sie findet ihren Ursprung im goldenen Schnitt, es handelt sich um eine Vereinfachung für den Umgang in der Fotopraxis. Die Bildfläche wird in drei gleich große horizontale bzw. vertikale Streifen unterteilt und die Bildmotive werden an den Trennlinien oder den Schnittpunkten verteilt.

 

Im folgenden Bild steht ein Wasserglas exakt auf einer solchen Trennlinie, also im goldenen Schnitt – und trotzdem scheint es irgendwie nicht so ganz “ richtig“ plaziert zu sein…

GS_Glas

8 von 10 meiner „Testpersonen“ haben angegeben, dass sie das Glas „gefühlsmäßig“ nicht richtig plaziert sehen oder dass sie das Bild nicht wirklich harmonisch empfinden. Hier zunächst also das Bild – die eingezeichneten Hilfslinien geben in ihren Schnittpunkten den goldenen Schnitt wieder und Objekte, die auf diesen Linien liegen, sollen also „auf dem goldenen Schnitt liegen“ und somit die bestmögliche Harmonie im Bild erzeugen.

Warum habe ich also nun das Gefühl, dass die Position des Glases nicht wirklich stimmig ist?

Die Beantwortung ist eigentlich trivial: das Glas als Objekt ist für die Bildfläche viel zu groß, um es als solches genau zu „platzieren“. Welches ist denn der „bildwichtige Teil“ eines Glases, den ich im goldenen Schnitt platzieren soll? Bei einem Auge eines Portraits ist das schon sehr viel einfacher. Durch Experimente habe ich herausgefunden, dass man in einem Objekt einen Punkt festlegen kann, der so ungefähr als „optischer Schwerpunkt“ bezeichnet werden könnte. Legt man nun genau diesen Punkt auf einer der sich kreuzenden Linien ab, so sieht das Ganze schon sehr viel harmonischer aus.

Eine ähnliche Vorgehensweise habe ich bei dem Produktfotografen Hubert Schuy (Köln) gesehen, er beschreibt den sog. „Doppelten Goldenen Schnitt“. Hierzu hat er das Objekt (Glas) sehr eng eingerahmt und innerhalb dieses Rahmens ebenfalls die Linien des goldenen Schnitts bestimmt.

GS_Glas_mitGS

Nun wird das Objekt auf der gesamten Bildfläche so verschoben, dass sich die Vertikalen (oder horizontalen) Linien beider goldenen Schnitte überlagern. Das Ergebnis war schon sehr viel harmonischer und stimmte mit der „Bauchgefühl“-Position fast genau überein.

Da ich von Natur aus ein „Tüftler“ bin, habe ich noch eine weitere „Entdeckung“ gemacht. Es gibt noch andere „Regeln“ außer dem goldenen Schnitt, die zu einer harmonischen Bildgestaltung führen sollen. Eine davon ist die „Diagonalmethode“, entwickelt von dem niederländischen Fotografen Edwin Westhoff, beruhend auf zahlreichen Messungen bei Fotografien , Gemälden und Kupferstichen. Er ist der Meinung, dass die „starken Punkte“ auf der Diagonale eines Quadrats liegen. Diese Methode ergibt sich bei rechteckigen Flächen, die im Verhältnis 4:3 oder 3:2 (Kleinbildformat) stehen und werden geometrisch folgendermaßen gebildet:

Man zeichnet in jede Ecke die Winkelhalbierende und kommt so zu zwei Quadraten auf der Bildfläche und somit zu vier Diagonalen. Jeder Punkt auf einer dieser Diagonalen ist ein „starker Punkt“.

Diagonalregel

Da ergeben sich aber ganz schön viele Möglichkeiten!

Meine Experimentierfreude war an diesem Punkt aber noch nicht zu Ende: ich habe nun die beiden mittleren Schnittpunkte der Diagonalen mit dem goldenen Schnitt des Glases zusammengebracht – und siehe da : das war genau die Position, die mir mein „Bauchgefühl“ schon suggeriert hat.

Glas_fertig

Klar – nun höre ich euch schon sagen: so’n Quark, dann hättest Du Dir die ganze Arbeit sparen können und Dich gleich auf Dein Bauchgefühl verlassen können. Das stimmt aber nur zum Teil. Gerade in der Produktfotografie kommt es sehr oft auf die optimale Positionierung an und da ist so ein „sicheres“ Hilfsmittel sehr wertvoll. Auf der anderen Seite gilt jedoch trotzdem: wenn es dem Bild zuträglich ist, pfeife ich auf alle Regeln ! Allerdings nicht, bevor ich sie zumindest ausprobiert habe, sie also kenne.

So – und wer sich so tapfer bis an diese Stelle durchgearbeitet habe, für den habe ich eine kleine Belohnung: schreibe mir eine e-mail, dann schicke ich Dir die Photoshop-Aktion „Goldener Schnitt“, die per Knopfdruck eine extra-Ebene über Dein Bild legt mit den Hilfs-Linien des Goldenen Schnittes.

In diesem Sinne, Gut‘ Licht !

Euer Manfred